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Brigitte Felderer . "Fashion will go out of fashion" . Zur Ausstellung

Eine Ausstellung über Rudi Gernreich, die sich darauf beschränken wollte, nur Gernreichs Kleider zu präsentieren, würde ihre Besucher wohl im unklaren darüber lassen, wie bedeutsam der Einfluß des in Österreich geborenen Modedesigners auf aktuelle Dress codes ist. Gernreichs Kleider müssen einem heutigen Publikum ganz selbstverständlich erscheinen – schon in den späten 50er Jahren war dem Designer klar, daß Kleidung zukünftig ganz anderen Bedürfnissen nachkommen sollte, als bloß Dekor für einen beanspruchten sozialen Status zu liefern. Gernreichs Mode wollte keine raffinierten Lösungen in der Schnittführung, keine neuen Silhouetten oder Saumlängen vorschreiben. Rudi Gernreich wollte nicht die Haute Couture revolutionieren, sondern die Haltung, die Menschen zu ihrer Bekleidung einnehmen. "I almost forget what I have on today" - das Motto einer seiner ersten Kollektionen, 1959 im Algonquin Hotel in New York präsentiert - bringt Gerneichs modisches Programm auf den Punkt. Kleider, wie Gernreich sie sich vorstellte, sollten freilich nicht unscheinbar sein; gemeint war auch nicht jener ständig wiederkehrende "gute Rat" diverser Frauenmagazine, sich doch endlich "typgerecht" zu kleiden, um die eigene Persönlichkeit zu unterstreichen. Jedes verräterische Anzeichen, sich einer modischen Doktrin unterworfen zu haben, die vorgibt, "wahre" Weiblichkeit individuell zu erzeugen, um doch bloß Konfektion zu bleiben, sollte vermieden werden. Rudi Gernreich wollte weder Weiblichkeit entwerfen noch Prestigesymbole verkaufen und schon gar nicht handwerkliche Leistungsnachweise erbringen. Als avantgardistischer Modeschöpfer hatte er erkannt, daß Mode ihrem Publikum im wesentlichen massenmedial begegnet, nur ein elitärer Kreis bekommt die exklusiven Kreationen der großen Modehäuser real zu Gesicht. Dieses erlesene Publikum teilt Lebensstil und Geschmack mit den einzelnen Couturiers, die für Glamour, Stilsicherheit und eine Welt stehen, die sich dezidiert vom Alltag der Massengesellschaft abgrenzt. Rudi Gernreichs Modelle wurden zwar genauso in den relevanten Modemagazinen vorgestellt, doch er selbst stilisierte sich nicht zum professionellen Virtuosen der Weltmode, sondern wandte sich an eine innovationsbegierige Öffentlichkeit, die nicht genau wußte, ob Gernreich sich über ihre kleinbürgerlichen Konventionen nur lustig machte, oder ob er tatsächlich von seinen Forderungen nach einer Mode für eine neue Gesellschaft überzeugt war. Gernreichs Szenarien stellten einen Angriff auf Konventionen des "guten Geschmacks" und auf gesellschaftliche Tabus dar, er polarisierte, skandalisierte und rief empörte Reaktionen hervor. Gernreich wandte sich mit seinen Ideen und Entwürfen gegen soziale Übereinkünfte, gegen den Common sense der amerikanischen Gesellschaft der 50er und 60er Jahre. Diese Provokationen brachten Gernreich der zeitgenössischen Kunstszene nicht nur in Los Angeles näher, wo er seit seiner Emigration aus Wien 1938 lebte; er übertrug künstlerische Ansprüche in das Feld der Mode, in dem genau jenes Reglement von Anpassung und Kommerz, von Unfreiheit und Verklemmtheit herrschte, das von dieser Künstlergeneration ebenso abgelehnt wie zum Inhalt oder zur Methode kritisch verstandener Kunstproduktion erhoben wurde.>> Victoria Steele geht in ihrem Beitrag auf die Nähe Gernreichs zur Kunstszene in L.A. ein und beschreibt Gernreichs gemeinsame Projekte mit Ed Ruscha und Ed Kienholz. 1 <<


Mode war für Gernreich ein Massenmedium, und jede Bedeutungsänderung von Kleidungsstücken bzw. einzelnen Details ließ sich nicht über den Entwurf des Kleidungstückes selbst, sondern nur über dessen Mediatisierung bewirken. Diesem Programm folgten auch Gernreichs Entwürfe: Die vom ihm entwickelten Kleider zeichnen sich - wie gesagt - weder durch komplizierte Schnitte, noch durch aufwendige handwerkliche Verarbeitung aus; das Programm wandte sich auch gegen den überholten Begriff des Kleides als Statussymbol und Dekor. Weitaus zeitgemäßer erschien es Gernreich, über Bekleidung als "Ausrüstung" ("gear") zu sprechen, oder als "zweite Haut", die ihren Träger oder ihre Trägerin komplettiert und für die rauhen Bedingungen einer technisierten Zukunft ausstattet. Diese Ausrüstungen – inspiriert von der Technikfaszination seiner Zeit – waren zugleich Zeichen, die darauf hinweisen sollten, daß auch andere Lebensformen, andere soziale Wirklichkeiten und Beziehungsformen vor- und darstellbar sind. Wie jedes Genre von Science Fiction, ob Film oder Literatur, eine verständliche Kulisse für komplexe soziale und technische Entwicklungen bereitstellt, war auch Gernreichs Mode ein ästhetisches Szenarium, um sozialen Wandel vorwegzunehmen und zugleich in Bewegung zu bringen. Gernreichs futuristische Entwürfe sind als Innovationen markant und als sozial verstandene Visionen lesbar; dennoch sind es nicht vereinheitlichende Raumanzüge, die jeden, der in ihnen steckt, zum anonymen Benutzer eines gleichermaßen anonymen Technik-Systems werden lassen. Rudi Gernreichs "Uniformen" betonen weder Gleichheit noch Hierarchie, kristallisieren nicht jenen Anteil unserer Persönlichkeit, der davon bestimmt ist, vorweggenommene Erwartungen bedeutsamer Anderer zu erfüllen. Gernreichs Mode sollte Voraussetzung für jene Autonomie sein, die außerhalb aller Rollenzwänge zu individuell verantworteten Entscheidungen und Selbstentwürfen führen soll. Seine Modelle dekonstruieren nicht, üben keine exklusive Kritik an einem effizienzorientierten Realitätsverständnis, sondern verweisen auf einen utopischen Raum, worin die alten Muster nicht neu arrangiert werden, sondern neue soziale Szenarien stattfinden sollen. Gernreichs Ausrüstungen für die Zukunft beziehen Form und Oberfläche des Körpers als ästhetisches Moment mit ein, ersetzen beispielsweise Nähte durch technische Bestandteile wie Türfedern oder Reißverschlüsse oder auch funktionale Schmuckstücke, an denen Kleider befestigt werden. Gernreich kombiniert dabei ungewohnte Farbstellungen sowie Materialien und Kunststoffe, die bis dahin im Möbeldesign benutzt wurden, zieht keine Trennung mehr zwischen formeller und legerer Kleidung, unterscheidet selbstbewußte Nacktheit von verschämter Blöße und beschränkt sich nicht auf die Zelebration von nur einem schönen Geschlecht.

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Gernreichs Badeanzüge aus den 50er Jahren waren an den Bademode-Kollektionen der amerikanischen Modeschöpferin Claire McCardell orientiert, die in ihren Entwürfen schon auf Verstärkungen und Miedereinsätze verzichtet hatte. Doch Gernreichs Anspruch, Kleidung für moderne Körper zu schaffen, wollte sich nicht auf einige gut gepflegte Socialites beschränken, die mühelos das Pariser Cocktailkleid mit dem informellen Badeanzug amerikanischer Provenienz vertauschten, um so Stilsicherheit zu demonstrieren. Während Claire McCardells Bademode an sportlich gebräunten Amerikanerinnen drapiert wurde (die sportliche Amerikanerin galt als neues modisches Ideal gegenüber der nächtlich bleichen europäischen Salondame), vertrat Gernreich eine andere Position: Seine Badeanzüge sollten nicht auf das Beach life in Malibu, auf eine luxuriöse Privatheit, beschränkt bleiben und auch nicht Sportswear zur amerikanischen Domäne in der internationalen Modewelt erheben. Der Badeanzug wurde als Ausdruck eines veränderten Körperbewußtseins konzipiert, das sich nicht auf einen – immerwährenden – Urlaub beschränken sollte. Gernreich ergänzte seine Badeanzüge später mit Visieren, Overknee-Stiefeln oder Beinkleidern, um das, was ursprünglich auf den privaten Kreis beschränkt geblieben war, öffentlichkeitstauglich zu machen. So bequem, körpernah und offenherzig seine Badeanzüge auch waren, wurde der Körper dabei dennoch abstrahiert – wurde er zum formalen Element des Entwurfs. Nicht das Kleid legte den Körper frei, sondern der Körper vervollständigte und komplettierte das Kleidungsstück. Nicht das Flair oder die Logo-Aura des einzelnen Kleidungsstücks beanspruchte, eine Trägerin mit Selbstbewußtsein auszustatten – denn Individualität sollte aus der Sicht einer Person, die "Gernreich" trägt, nicht mehr auf Kleidung zurückzuführen sein. Bereits diese Badeanzüge stießen an die Grenzen ihrer Vermittlung, der Darstellbarkeit in der Presse. Die Models trugen Büstenhalter und nachträglich eingesetzte Körbchen, um einen offensichtlich gefährdeten Anstand zu wahren.

Sowenig Kleidung auf abgezirkelte gesellschaftliche Räume beschränkt bleiben sollte, sowenig war sie nach Ansicht Gernreichs eine weibliche Domäne. Die erwähnten Badeanzüge ziehen eine Frau an – nicht aus. Zudem zitiert Gernreich schon in seinen ersten Badeanzügen Elemente klassischer Herrenbekleidung, sei es eine doppelreihige Knopfleiste, eine falsche Stecktuchtasche oder ein Nadelstreifmuster. Bereits mit diesen Entwürfen ironisiert Gernreich jede vorauseilende Zuordnung von Kleidungsstücken. Die vorgegebenen Modelle von Sexualität und Erotik, die mit den üblichen Dress codes verdeutlicht wurden, hatten mit wirklichen Empfindungen wenig zu tun, und Gernreich hatte die grausame Unterdrückung von Homosexuellen am eigenen Leib erfahren müssen >> vgl. dazu das Interview mit Harry Hay, worin dieser seine Liebesbeziehung zu Rudi Gernreich schildert und beschreibt, wie gefährlich Gernreichs Engagement für die Belange der Schwulenbewegung wirklich war. 2 <<





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Gernreich hatte ein öffentliches Coming out immer verweigert, zunächst aus begründeter Angst vor Verfolgung, und später vor allem, um nicht über Sexualität allein typisiert zu werden.

Seine Entwürfe unternahmen von Beginn an den Versuch, ein Repertoire an visuellen Codes zu schaffen, das auf die herkömmliche Trennung zwischen einer eher konstant bleibenden Herrenausstattung und einer sich ständig erneuernden Damenmode verzichtete.

Der Monokini, die an allen möglichen Körperstellen ausgeschnittenen Cut out-Kleider und -Trikots, der Thong oder selbst noch sein letztes Projekt, der Pubikini, haben Gernreich zu einer internationalen Berühmtheit gemacht. Die Skandalisierung dieser Projekte machte deutlich, daß es letztlich pointierte Details waren, die ein Kleidungsstück in die Schlagzeilen brachten. Wäre der Monokini ein schlichter Slip geblieben, hätte man sich wohl nur über den nackten Busen mokiert (oder sich daran erfreut), nicht aber über das Kleidungsstück selbst. Gernreichs Monokini bestand jedoch aus einer Hose, die bis zum Rippenbogen reichte und mit Trägern an den Schultern befestigt war. Der Monokini symbolisiert keine nahtlose Bräune, ist auch kein halbierter Bikini, wie seine Bezeichnung vermuten läßt. Die berühmte Oben-ohne-Tänzerin Carol Doda war wohl eine der ersten Frauen, die diesen Anzug in einer (Halb-)Öffentlichkeit getragen hat. Sie hätte auch nur irgendein Oberteil weglassen können, doch läßt sich im nachhinein vermuten, daß Freizügigkeit – in einem Monokini zur Schau gestellt – weniger zum Ausdruck bringen sollte, daß sich die Tänzerin als Opfer auslieferte, sondern, daß sie – ganz im Gegenteil – männliche Wünsche für ihren eigenen Narzißmus und ihre ökonomischen Interessen funktionalisiert wissen wollte. Die Zensur durch die Presse hat dazu beigetragen, daß der Monokini nur mißverstanden werden konnte: schwarze Balken, Wasseroberflächen, drapierte Schals und dezente Kameraeinstellungen richteten alle Aufmerksamkeit auf den Busen, den Rudi Gernreich so ja umdeuten wollte. Mit dieser Skandalisierung führte sich eine prüde amerikanische Öffentlichkeit selbst vor; viele Künstler und Intellektuelle würdigten Gernreichs Tabubruch, sahen in ihm mehr den avantgardistischen Künstler als den Modemacher >> vgl. dazu das Interview mit Peter Weibel, der beschreibt, wie Gernreich von der österreichischen Kunstszene wahrgenommen wurde. 3 << Gernreich mag sich zwar als Künstler verstanden haben, doch wäre es zu einfach, in ihm einen Künstler sehen zu wollen, der sich die Mode als Praxisfeld auserkoren hatte. Gernreich war zwar mit universalistischen künstlerischen Gestaltungskonzepten (beispielsweise dem Kubismus und vor allem der Wiener Werkstätte) vertraut, doch nahm er deren visuelle Repertoires nicht mehr als puristisch formulierte Programme auf, sondern als Ästhetizismen, als Substrate, die in die Populärkultur eingegangen waren. In den späten 50er und 60er Jahren hatten sich Werbung, Gebrauchsdesign und auch die Mode die ganzheitlichen Formensprachen der Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts längst angeeignet. Gernreich ist nicht als ein Apologet des Bauhaus oder der Wiener Werkstätte zu verstehen, der die Gültigkeit bestimmter Ästhetiken verteidigt und immer neu zu beweisen strebt. Nicht in diesem Sinn verstand er sich als Künstler. "I consider designing today more a matter of editing than designing" ( Los Angeles Times, 30. 1. 1972), beschrieb er seine ästhetische Verfahrensweise. Im Laufe seiner Karriere hatte sich Gernreich ganz unterschiedlicher Stile bedient, streng secessionistische Muster zu flotten und legeren Hosenanzügen herangezogen, den simplen Schnitt eines Trägerkleides Saison für Saison in immer neuen Materialien und Farbkombinationen verarbeitet oder industrielle Materialien wie Vinyl eingesetzt, oder historisierende Kostüme für den psychedelischen Identitätswechsel zur Verfügung gestellt. Die Exklusivität des Handwerklichen, der Wert eines besonderen Materials oder die raffinierte Lösung einer bestimmten Aufgabe – sei es Ärmelloch oder Faltenwurf – hätten Gernreichs Interesse an einer Mode widersprochen, die sich nicht auf reine Form, wohl aber auf ein bestimmtes Repertoire konzentrieren wollte sei es ein Trikot, das sowohl Badeanzug, Oberteil oder Kleid sein konnte, sei es das immer gleiche Kleid als simpler Tagesdress, als elegantes Abendkleid oder als Nachthemd. Er reduzierte Kleidung auf ein Inventar funktionaler Kleidungsstücke, die sich über Farben, Materialien und Mustern immer neu variieren ließen.

Gernreich ironisierte zwar die Couture und ihren Elitarismus, deren Anachronismus er feststellte, doch verwies er nicht so sehr auf die Geschichte der Mode, auf die traditionellen Herstellungsprinzipien, wie es die heutige Mode-Avantgarde meisterhaft beherrscht. Gernreichs Kritik an der Geschlechterpolitik, am affirmativen Charakter gesellschaftlicher Konventionen äußert sich nicht über eine Dekonstruktion der Gegenwart, sondern in einem Zukunftsentwurf, der am eigenen Leib zu tragen ist: "Today´s notion of masculinity and femininity is challenged as never before. Traditionally clothes have been considered as tertiary sex characteristics. But now the clichés are breaking down and people as people are emerging." (Los Angeles Times, 2. Juli 1968).

Das zentrale Thema der EXPO ' 70 in Osaka lautete "Progress and Harmony for Mankind"; präsentiert werden sollten Verbesserungsvorschläge für mehr Freude am Leben, für eine bessere Nutzung der natürlichen Ressourcen, für ein reibungsloseres Zusammenleben und eine effizientere Lebensorganisation. Rudi Gernreich wurde eingeladen, sein Unisex-Projekt zu realisieren, das er für die Jännernummer der Zeitschrift LIFE konzipiert hatte. Eine Frau und ein Mann wurden kahlrasiert, sämtliche Körperbehaarung entfernt. Das Paar führte jeweils identische Kleidungsstücke vor: beide im Bikini oder in einem Minirock ohne Oberteil, in langen Hosen mit kurzen Tops, in den typischen Gernreich-Farbkombinationen wie Schwarz-Weiß, Orange-Gelb oder Rot-Purpur. Für die kühle Jahreszeit sah der Designer gestrickte Overalls vor, deren Rollkrägen sich bis zur Nase hinaufziehen ließen, Haarhelme von Vidal Sassoon (in Schwarz oder Weiß, passend zum jeweiligen Overall) sollten gegebenenfalls vor Kälte, farbige Kontaktlinsen vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen. "Time Pieces", breite Manschetten mit Zeitfunktion, schlossen diese androgynen Wesen an das gewünschte Zeitsystem an.

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"Help Stamp Out Rudi Gernreich!" (Helfen Sie, Rudi Gernreich ein Ende zu setzen!), mit dieser aggressiven Drohung an Gernreich und seine Unisex-Idee waren sich die Verfasser der Werbeanzeige einer amerikanischen Kosmetikschule offenbar einer breiten Zustimmung sicher. Die deutsche Zeitschrift "Stern" ließ einen Experten zu Wort kommen, der ein Aussterben der Menschheit befürchtete, weil Menschen, die sich so darstellten, für einander kein sexuelles Interesse mehr entwickeln könnten. Viele Darstellungen des Projekts stellten unbewußt die alte Ordnung her: Die Frau schmiegt sich an den breitbeinig aufgerichteten Mann, oder sitzt ihm sogar zu Füßen, ihr Blick verliert sich im Leeren, während er direkt in die Kamera schaut, er verschränkt die Arme vor der Brust, sie aber berührt ihren eigenen Körper nur sanft, als wäre er besonders fragil. Eine ästhetisch gleichgestellte Gesellschaft, wie sie Gernreich skizziert hatte, war nicht erwünscht, hätte sie doch eine Reihe gesellschaftlicher Institutionen und Normen in Frage gestellt, die eine traditionelle Geschlechtertrennung als sinnvoll erscheinen lassen. Gernreich verstand sein Unisex-Projekt weniger als Parodie, sondern vielmehr als ernsthaften Versuch offenzulegen, was in einer Kultur als weiblich, was als männlich verstanden wird. Er griff mit diesem Projekt die Hippiemode der amerikanischen Westküste auf, die sich in ihrer Anti-Mode – Jeans und Ethno – ebenfalls gegen ein spießiges Establishment wandte. Zu bemerken bleibt, daß Gernreich keine plumpen Vorurteile übernahm – die jungen Frauen und Männer, beide mit langen Haaren, waren für den Designer nicht verwechselbar, ganz im Gegenteil: Unisex sollte gleiche Kleidung, gleiche Frisuren, gleiche Schminke bedeuten und damit kulturell bestimmte Geschlechtskonstruktionen neutralisieren. Gernreich sah in der Hippie-Kluft den besten Beweis für sein eigenes Unisex-Konzept – daß eben Kleidung nicht zu einer Aufhebung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern führen kann. Doch wechselseitige Anziehung sollte nicht auf vorgegebene Silhouetten, torpedoartige Busenformen oder auf so und nicht anders frisiertes Haar fixiert sein. In der Konzeption einer Unisex-Mode hatte sich Gernreich für abstrakte, unromantische, technoide Kleidungsstücke entschieden und wollte jede Typisierung, jede Zuordnung vermeiden. Hier erweist er sich wieder als Modernist, der mit seinen Interventionen politisches Bewußtsein zu erzeugen versuchte, und letztlich dem offenkundig zur Schau gestellten Privat-Anarchismus der Hippies skeptisch gegenüberstand, was dessen politische Wirkung betraf. "Real things" wie Jeans und T-Shirts waren für Gernreich geeignetere Instrumente einer Selbstdarstellung, die Aufgeklärtheit und Widerständigkeit demonstrieren und erreichen wollte. Auch wenn es die zeitgenössische Presse nicht so verstehen wollte – die Modegazetten hatten das Unisex-Projekt ohnehin weitgehend ignoriert –, ging es dem Designer letztlich darum, mit diesem Projekt unauffällige Kleidung zu postulieren. Unisex verstand sich als demokratische Bekleidung, die allen zur Verfügung stehen sollte – in Gernreichs Worten: "an anonymous sort of uniform of an indefinite revolutionary cast" (Michigan News, 15. 7. 1971).

Gernreichs Elternhaus - er wurde 1922 in Wien geboren - und das geistige Klima, in dem er aufwuchs, waren sicher für seine spätere Arbeit entscheidend >> vgl. den biographischen Beitrag von Layne Nielson, einem langjährigen Mitarbeiter Gernreichs, der ausführlich den familiären Hintergrund und die Wiener Kindheit und Jugend beschreibt. 4 <<


Als ganz wesentlich für Gernreichs Entwicklung sind aber seine politischen Aktivitäten zu Beginn der 50er Jahre als Gründungsmitglied der Mattachine Society, einer Pionierorganisation der Schwulenbewegung, anzusehen. Aufgrund der repressiv ausgrenzenden wie aggressiven Ablehnung durch eine auf Heterosexualität fixierte Öffentlichkeit waren Schwule im Kalifornien der McCarthy-Ära (und nicht nur dort) auf subtile Codes der Verständigung angewiesen. Es war durchaus üblich, daß lesbische Frauen, wollten sie mit ihrer Geliebten ungestört ausgehen, Männerkleidung anlegten – zwar, um sich unauffällig zu geben und der oktroyierten Norm anzupassen, doch um damit gerade diese Norm zu hintergehen und zu brechen. Hier fand weniger eine Anpassung an heterosexuelle Normen statt als vielmehr ein Austesten verschiedener Möglichkeiten, Weiblichkeit darzustellen.

Gernreich war Modedesigner nicht im Sinne der Zelebration vorgegebener Statussymbole oder geforderter Anpassungszwänge, sondern verstand Mode als zentrales Element eines jeden Identitätsentwurfs und dessen sozialer Wahrnehmung. Kleider sollten Medien der Freiheit sein, nicht nur im Sinne eines vernünftigen Tragekomforts, sondern frei von allen Zwängen einer bürgerlichen, heterosexuellen Kultur. Wenn Gernreich schließlich fordert, daß Mode vor allem unterhaltend sein solle, dann steht dahinter der Anspruch, nicht über einen Dress code schon all das im voraus vermittelt zu bekommen, was dann auch tatsächlich folgen mag.



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Gernreich wurde in der Modewelt für seine ungewöhnlichen Farbkombinationen, die graphischen Muster, die unkomplizierten, bequemen Schnitte, den Einsatz von Kunststoffen, die Integration des nackten Körpers in ein Kleidungsstück (sei es durch Cut outs oder durch transparente Materialien), für das Aufnehmen von Trends der Jugendkultur und nicht zuletzt für sein Unisex-Projekt bekannt. Seine Kollektionen, die er 1967 und 1968 entwickelte, die eigentlich Kostümen ähnelten und Uniformen, Renaissance- und Empiremotive sowie Orientalismen zitierten, schienen aus diesem Konzept zu fallen. Was sollte mit diesen Kleidern transportiert werden in einer politisch doch so "heißen" Zeit? Bot ausgerechnet Gernreich hier eine Realitätsflucht, eine romantische Verkleidung an? Waren Kosakengewänder aus falschem Pelz und aufwendige Turbans wirklich zeitgemäße Outfits? Gernreich mochte eine Kollektion entwickelt haben, die nicht dem allgemeinen Geschmack entsprach, doch blieb er seinem Programm treu. Schon 1958 hatte er in der Einladung zur Herbstkollektion festgehalten: "Today´s women can look like a 1912 school girl for lunch, at cocktail time like a vamp out of a 1930 movie, and in the evening like Empress Josephine. And I have come to the conclusion that it is not a silhouette, but an attitude which is the important change. There has been more radical change in the attitude of a face, leg and foot last year than in the shape of a dress." (Einladung zur Präsentation der Herbstkollektion von Rudi Gernreich im Mai 1958). Diese Haltung griff er in den späten 60er Jahren auf, trieb sie gewissermaßen auf die Spitze und parodierte damit Rollenzuschreibungen, die sich an Alter, Herkunft oder Zivilstand einer Frau geknüpft haben mochten. >> vgl. dazu Layne Nielsons Beschreibung der ungewöhnlichen Gernreich-Kombinationen 5 << Gernreichs Kollektion 1968 war einfach Camp, ironisierte den konventionellen Gebrauch von Mode. Mit der Wahl billiger Materialien – Plüsch, der wie Nerz eingesetzt wurde –, mit Anleihen bei k.k. Uniformen, Zitaten exotischer Trachten oder geistlicher Gewänder stellte Gernreich Wertvorstellungen einer westlich geprägten, kolonialistischen Kultur nachhaltig in Frage. Kleidung sollte kein eskapistisches Instrument sein, sondern eine unerläßliche Voraussetzung für alle notwendigen, von der Realität geforderten Daseinsmanipulationen und Existenzvarianten. Insofern verfiel Gernreich nicht einem narzißtischen Ästhetizismus, sondern versuchte, seine Kritik an der ihn umgebenden Kultur programmatisch zu formulieren.

Gernreich galt immer als Sportswear-Designer. Von dieser Etikettierung konnte er sich lösen, indem er deutlich machte, daß eine zeitgemäße Mode nicht förmlich, steif oder aufwendig sein darf, will sie vor den Anforderungen der Zukunft bestehen. Gernreich präsentierte seine Kollektionen in Modeschauen, deren Motto er in langen Einladungen erklärte; er hatte Models ausgesucht, die so gar nicht den Klischees kalifornischer Lebensfreude - Sommer, Strand und Sonne - entsprachen. In den 50er Jahren war es Jimmy Mitchell: Sie führte die neuen Badeanzüge auch in aller Konsequenz vor, das heißt, ohne Stützelemente, Verstärkungen oder ähnliches angebracht zu haben. Peggy Moffitt, die Gernreich seit den frühen 60er Jahren bis zum Ende seiner Modekarriere immer wieder einlud, für die Fotos seiner Pressemappen zu posieren, war hellhäutig und schlank, aber dabei weder sportlich noch damenhaft. Mit ihrer Five Point Cut-Frisur von Vidal Sassoon erinnerte sie an die unabhängigen jungen und modernen Frauen im Berlin der 20er Jahre. Mit einem Segelboot am Strand von Santa Monica mochte man dieses Model nicht assoziieren. Ihre Gesten und die Mimik, die sie auf den Fotos einnahm, waren artifiziell puppenhafte Posen, die keine "Natürlichkeit" suggerierten. Ihr selbst entworfenes Make-up – weiße Grundierung, blaß geschminkte Lippen, lange falsche Wimpern, roter Lidschatten bis zu den Augenbrauen, ein weißer Lidstrich – ließen ihr Gesicht maskenhaft erscheinen. Peggy Moffitt hatte mit ihrem Styling einen Typ kreiert, in dem sich zukünftige Trägerinnen eines Gernreich Outfits kaum wiedererkennen mochten oder wollten – zu künstlich, zu androgyn war ihre Erscheinung. Während sich andere Models jedoch den wechselnden Moden, die sie vorführten, in Haartracht und Schminke anpaßten, blieb Peggy Moffitt unberührt von modischen Konjunkturen, mochte sie auch bisweilen den roten gegen einen blauen Lidschatten tauschen. Ihre Ästhetik hatte keinen Vorbildcharakter, sie war weder Dame noch Durchschnittsfrau, keine Sexbombe – und doch Anlaß zu Projektionen unterschiedlichster Art. Peggy Moffitt war nicht Model, weil sie so außergewöhnlich schön war, gewiß nicht Model, weil sie so anpassungsfähig war, auch nicht, weil jeder Fotograf mit ihr machen konnte, was er wollte, sondern weil alles, was sie trug, an ihr hip und neu wirkte. Von den frühen 60er Jahren bis heute gelang und gelingt es ihr, deren Erscheinung so sehr mit Gernreich verbunden blieb, die einmal geschaffene Selbstdarstellung aufrechtzuerhalten. Peggy Moffitt wurde damit zur Symbolfigur einer zeitlos individualistischen Mode, die frei kompatible Elemente zum kreativen Selbstentwurf erfolgreich kombinierte. Léon Bing wiederum, die ebenfalls als Model lange Jahre eng mit Gernreich zusammenarbeitete, entsprach ganz der Vorstellung einer unabhängigen Person, einer gutaussehenden Frau aus dem realen Leben, die ihren Lebensunterhalt eben als Model bestritt – ohne jede Verklärung. Léon Bing ist heute vor allem als Expertin für Jugend-Gangs in Los Angeles bekannt und arbeitet zur Zeit an einem neuen Buch über Mädchen-Gangs. In den 60er Jahren zählten Peggy Moffitt und Léon Bing zur "Szene" – über die beiden fand Gernreich Zugang zur Kunstszene und diese zu ihm. Die Models wurden von den Künstlern nicht als Aufputz geschätzt, sondern als Frauen, die unabhängig waren – "New Arrogants", die das nötige Selbstbewußtsein aufbrachten, ihre eigenen Role models zu sein. Léon Bing und Peggy Moffitt waren zugleich Embleme einer Popkultur: Geschmack, Inszenierung und Trends blieben nicht mehr auf einige wenige Frauen beschränkt. Gernreich-Kundinnen kombinierten, wie auch Peggy Moffitt selbst, ein Diorkleid aus Paris mit No name-Plastikohrringen, oder sie wurden, wie die Schauspielerin Barbara Bain, in einem Gernreich-Hosenanzug nicht in das elegante Restaurant am Sunset Strip gelassen, weil Damen in Hosen keinen Zugang hatten. "Gut aussehen" sollte nach Gernreichs Verständnis nicht bedeuten, schön zu sein oder sich unendlich luxuriös und elegant zu geben, sondern einem Narzißmus zu huldigen, der vor allem die eigene Unabhängigkeit zum Ausdruck brachte.


Seine Kollektionen waren begleitet von einem Hype, der noch viel mehr die Tagespresse betraf als die Modemagazine, die sich vor allem auf seine schlichten Sportswear-Entwürfe konzentrierten, mit seinen Tabubrüchen, seinen subversiven "Mode-Strategien" aber wenig anzufangen wußten. Gernreich war stets sein eigener Ideologe >> Johannes Porsch und Tanja Widmann versammeln in ihrem Beitrag wichtige Aussagen von und zu Rudi Gernreich 6 <<, der seine Modeentwürfe als Träger eines umfassenden, ästhetisch formulierten Weltentwurfs betrachtete, und es mit dem Monokini geschafft hatte, Mode an die Grenzen ihrer Darstellbarkeit zu bringen und die Rezeptionstoleranz der Öffentlichkeit auszureizen. Erfolg und Bekanntheit, die ihm seine ersten Kollektionen in der Modebranche beschieden hatten, setzte er ein, um seine ästhetischen Konzepte vom zeitgemäßen und zukünftigen Gebrauch von Kleidung in der öffentlichen Meinung durchzusetzen. Für ihn waren Kunst und Mode niemals voneinander getrennte Welten. Im Los Angeles der 50er und 60er Jahre war Gernreich in Künstlerkreisen nicht nur als Modemacher, sondern auch als Künstlerfigur akzeptiert, weil er das Massenmedium Mode – ganz avantgardistisch – dazu verwendet hatte, gesellschaftliche Tabus und Konventionen radikal in Frage zu stellen. Er wandte sich gegen eine Mode als ästhetisches Korsett sozialer Ordnung und brachte die Images einer starren Geschlechterpolarisierung in Bewegung. Gerade deswegen skandalisiert, wurde er zum seismographischen Medienstar eines neuen Lebensgefühls. Auf die Selbststilisierungen einer technik- und fortschrittsfaszinierten Gesellschaft reagierte er mit ironisch provokanten Konzepten: Monokini, Oben-ohne, Unisex, Total Look etc. artikulierten programmatisch das Freiheitsbedürfnis einer Generation. Die medialen Bilder von Gernreichs Mode wie die Performance seiner Selbstdarstellung waren Botschaften eines kulturellen Aufbruchs, dessen Ansprüche unverändert aktuell sind.
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>> zum Text von Elfriede Jelinek <<

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