aus: Victoria Steele / Sunshine & Design:
Rudi Gernreich und die Kunstszene von Los Angeles

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[...]Mindestens zweimal wirkte Gernreich an künstlerischen Projekten seiner Freunde mit. 1969 tauchte er in Ed Ruschas Künstlerbuch Crackers auf, das quasi dokumentarische Photos enthielt, die eine Bildgeschichte über das Thema "Wie man aus Salzgebäck maximalen Genuß zieht" illustrieren. Gernreich hatte die Rolle eines (schlechtgekleideten) Nachtportiers übernommen, der dem Hauptakteur, gespielt von dem Bildhauer Larry Bell, zur Hand geht und das notwendige Salatdressing herbeischafft. Die Geschichte berichtet von einem Mann, der ein billiges Motelzimmer für ein Rendezvous vorbereitet, indem er das Bett mit frischem Salat drapiert. Als er schließlich Léon Bing, eines der Models von Rudi Gernreich, dorthin gebracht hat, überredet er sie, die Layne-Nielson-Blumen-Ohrringe abzunehmen, ihr schickes Rudi Gernreich-Babydollkleid auszuziehen und sich in den Salat zu legen. Salat und Dame werden mariniert, Bell küßt der Dame noch die Hand, läßt sich von einer Limousine in ein elegantes Hotel bringen, schlüpft dort in einen frischen Pyjama und öffnet die Packung Salzgebäck, die er zuvor an einer Tankstelle gekauft hat. 1970 verfilmte Ed Ruscha die Story mit denselben Akteuren und nannte den Film nach einer Crackers-Marke "Premium".

Das andere Mal beteiligte sich Gernreich an einem Projekt von Edward Kienholz: In den späten 60er Jahren konzipierte Kienholz eine Serie, die aus gerahmten Blättern bestand, die mit einem Preisstempel versehen waren; die Blätter wurden dann um den angegebenen Betrag verkauft. Kienholz entwickelte schließlich eine Variation dieses Kunst-gegen-Geld-Projektes und legte ein gerahmtes Blatt vor, das den Stempel "For A Rudi Gernreich Original" (1969) trug. Am Ende der Ausstellung in der Eugenia Butler Gallery tauschte Rudi Gernreich ein Ensemble in einem typischen Gernreich-Muster – Pyjamahose und Oberteil – gegen das Kunstwerk.

Wie Gernreich an den künstlerischen Projekten seiner Freunde teilnahm, so wirkten diese bei seinen mit. Die intellektuelle und künstlerische Avantgarde von L. A. war oft bei den Präsentationen seiner Kollektionen anwesend. Diese Präsentationen waren sowohl intellektuell und gesellschaftlich als auch künstlerisch anspruchsvolle Events, bei denen Gernreich sprach, und zwar nicht über Knopf und Zwirn, sondern über seine künstlerischen Absichten; dabei gab es weder Musik noch eine besondere Beleuchtung. "Rudi war der Darsteller, die Kleider das Stück", erinnert sich sein Mitarbeiter Layne Nielson. In Gernreichs denkwürdigen Kommentaren ging es um Mode, Kunst und Alltagskultur – "Kultur hieß Kunst, und Kunst hieß neu, und neu hieß, wie jeder wußte, Kalifornien – und vor allem Los Angeles", so beschreibt der Kunstkritiker Peter Plagens das künstlerische und kulturelle Selbstbewußtsein einer Stadt, deren industrielle Kulturproduktion nun für die Kunst funktionalisiert wurde. Rudi Gernreich kommentierte: "Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß es da eine völlig neue Haltung gab. Auf einmal waren gewisse Dinge nicht mehr anrüchig. Und auf einmal waren gewisse Dinge möglich, die zwei Jahre zuvor noch nicht möglich gewesen waren. Die Einstellung zu Prüderie, zu Sex änderte sich. Jetzt ist auf einmal Kleidung nicht mehr etwas Dummes zum Anziehen. Kleidung ist ein Symbol dessen, was vorgeht."

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