aus: Layne Nielson: Rudi Gernreich"That Mad Viennese From California"

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[...] Rudi wurde am 8. August 1922 in Wien in eine sehr interessante Familie geboren. In einer Stadt voll von interessanten Persönlichkeiten mögen die Gernreichs, Müllers, Schüllers und Kautskys ihren Zeitgenossen nicht so außergewöhnlich erschienen sein. Doch Otto Natzler, der anerkannte, aus Wien stammende Keramiker, kannte die Familie Gernreich seit 1938 und verstand sie, wie es nur einem Landsmann mit ähnlichem gesellschaftlichen Hintergrund möglich war: "Sie waren sehr außergewöhnlich und zugleich sehr normal. Jeder von ihnen war etwas Besonderes... Thomas Mann hätte ein wunderbares Buch über diese Familie schreiben können."

[...] die nächste Generation, jene von Rudis Eltern, war wienerisch im eigentlichen Sinn des Wortes. Ohne jeden Bezug zu ihren religiösen Traditionen - Tempel, Rabbiner, Essens- oder Kleidungsvorschriften - fühlten sie sich dem deutschsprachigen Kulturkreis zugehörig. Inmitten jenes mitreißenden Aufbruchs in die Modernität aufgewachsen, verkörperten sie die Kultur und den künstlerischen Optimismus, wie er für das habsburgische Wien charakteristisch war. Ihre Ansichten waren modern, ihre politische Haltung links, ihre Herzen hoffnungslos romantisch.

[...]Die Wiener Werkstätte übte einen derart großen Einfluß auf ihn aus, daß man mit einiger Berechtigung sogar behaupten kann, daß Gernreich sich jene Designkonzepte angeeignet habe und sie zu Beginn seiner Karriere in Los Angeles in seinem für ihn typischen Stil ganz neu einzusetzt hat. Die New Yorker Modeschöpferin Inez Exton, ebenfalls 1938 aus Österreich vertrieben, arbeitete in den 20er Jahren in der Wiener Werkstätte und schrieb mit einem Anklang von nostalgischer Melancholie: "Die Werkstätte, und wir, ihre Diener, verehrten Schönheit, Qualität und Individualität. In dieser verzauberten Welt habe ich jede Toleranz für Mittelmäßigkeit für immer verloren ... Regeln waren da, um sie zu brechen, neue Ideen wurden geboren; kräftige Farben, aber auch die spartanische Reinheit von Schwarz und Weiß, wurden unsere Gütezeichen." Sie hätte genausogut Rudis Design-Grundsätze beschreiben können: kräftige Farben in Kontrast zur spartanischen Reinheit von Schwarz und Weiß, gebrochene Regeln, neue Ideen. In den 50er und 60er Jahren war Rudi praktisch im Exklusivbesitz des Schachbrettmusters, ein damals derart kühnes Muster, als daß jemand anderer etwas damit hätte anfangen können – das heißt, niemand außer einem Wiener. Als Vorläuferin des weithin bekannteren Bauhaus blieb die Wiener Werkstätte für die Entwicklung des Designs im 20. Jahrhundert auch nach Ende ihres Bestehens einflußreich. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs in Amerika betonte Rudi zwar besonders das Bauhaus als seine Inspirationsquelle, doch bei näherer Betrachtung findet sich weniger von der Weimarer/Dessauer Schule in seiner Design-Philosophie – außer wohl seine Affinität zu den geraden Linien der Möbel und Architektur eines Mies van der Rohe und dem Wunsch, Entwürfe für die Massen zu entwickeln. Seine primären Quellen waren jedoch sicherlich die Wiener Werkstätte, Adolf Loos und die nervöse Energie der Kunst und Kultur des modernen Wien.

[...]Professor Cizek, einer der pädagogischen Pioniere des 20. Jahrhunderts, war siebzig Jahre alt, als Rudi in seine Schule eintrat. [...] In amerikanischen und britischen Kunsterziehungskreisen gilt er heute als einer der größten Pädagogen des Jahrhunderts. Cizek verfolgte mit seinem Kunstunterricht ein viel umfassenderes Ziel als einfach nur Künstler heranzubilden – ihm ging es um die Vermittlung von Selbstvertrauen und um die Entwicklung einer ganzheitlichen Persönlichkeit. [...] Das Selbstvertrauen, das Rudi Cizek verdankte, hielt sein ganzes Leben lang an, doch das wichtigste, was ihm der Professor beibrachte, war der Gebrauch reiner Farben. Cizek gab den Kindern immer nur eine Farbe nach der anderen, sodaß sie einzeln trocknen konnten und nicht zu einer schmutzigen braunen Masse am Papier verschwammen – er wollte, daß man dachte, "daß es in Wien Farben gibt wie sonst nirgends auf der Welt". Viele Jahre später verwendete Rudi genau dieses Prinzip, um das amerikanische Mode-Establishment davon zu überzeugen, daß es nur in Kalifornien solche Farben gäbe. Gernreichs Name wurde zu einem Synonym für Farbe, für reine, unverdünnte, unvermischte Farbe – er war berühmt dafür.

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